Going Concern

„Going Concern“ – das Prinzip der Unternehmensfortführung als Bilanzierungsgrundsatz

Bilanzierungsstandards richten sich nach grundlegenden Prinzipien der Bewertung aus. Im HGB ist es das Vorsichtsprinzip, nach IFRS (International Financial Reporting Standards) das Prinzip der „true and fair presentation“. Sowohl im deutschen Handelsrecht als auch international ruht die Bilanzierung zudem auf einem weiteren Grundsatz – dem sogenannten Going Concern Prinzip. Im folgenden Artikel wird erklärt, was darunter zu verstehen ist und welche Auswirkungen der Grundsatz auf die Abschlussprüfung nimmt.

Das Going Concern Prinzip und seine Bedeutung

Der englische Ausdruck „Going Concern“ heißt auf Deutsch so viel wie Fortführung. Im Rahmen der Bilanzierung ist damit ein wichtiger Grundsatz gemeint, an den sich Buchhalter, Steuerberater und andere Verantwortliche halten müssen.
Zu finden ist der Grundsatz der Unternehmensfortführung in §252 Abs. 1 HGB. Dort steht geschrieben:

„Bei der Bewertung ist von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen, sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen.“

Die Aufstellung eines Jahresabschlusses und dessen Prüfung kann erst dann stattfinden, wenn diese Regel als anwendbar gilt. Der zitierte Satz lässt sich dabei als Prämisse verstehen: die Annahme, dass ein „Going Concern“ – Szenario besteht, also anders gesagt die Fortführbarkeit des Unternehmens wahrscheinlich gegeben ist, ist eine zwingende Voraussetzung dafür, dass alle weiteren Bewertungsvorschriften angewendet werden dürfen.

Beispiel: Das folgende Beispiel verdeutlicht die Bedeutung des Going Concern Prinzips.
Ein Unternehmen erwirbt Anfang des Jahres 01 eine Fertigungsanlage für die Produktion neuer Produkte. Die Anschaffungskosten liegen bei 100.000 Euro. Es wird eine Nutzungsdauer von 10 Jahren und ein Schrottwert von 5.000 Euro am Ende dieser Dauer geschätzt. Wendet man nun die Going Concern Prämisse an und rechnet mit einer linearen Abschreibung, so ergeben sich für die Fertigungsanlage folgende Restbuchwerte in der jeweiligen Bilanz zum 31.12.:

  • Jahr 01: 90.500 Euro
  • Jahr 02: 81.000 Euro
  • Jahr 03: 71.500 Euro usw.

Besteht nun allerdings kein Going Concern Szenario, kann also bei der Aufstellung des Jahresabschlusses nicht von der Fortführung des Unternehmens ausgegangen werden, können die gerade errechneten Beträge nicht für die Bewertung der Anlage in der Bilanz herangezogen werden. Das aufgestellte Wertekonzept liefert nur dann einen sinnvollen Bilanzwert, wenn die Anlage auch weiterhin in der Fertigung eingesetzt wird. Findet allerdings keine Unternehmensfortführung statt, wird die Anlage logischerweise nicht mehr benutzt.

Für die gesetzlichen Vertreter eines Unternehmens (Geschäftsführung oder Vorstand) ergibt sich aus dem Going Concern Prinzip eine wichtige Aufgabe. Sie müssen vor Beginn der Abschlussarbeiten beurteilen, ob für das Unternehmen möglicherweise die Absicht oder Notwendigkeit besteht, die Tätigkeit aufzugeben oder ob die Going-Concern Prämisse weiterhin angemessen als Grundlage für die Bilanzierung ist.

Gegebenheiten die gegen die Unternehmensfortführung sprechen

Wenn das Unternehmen in der Vergangenheit Nachhaltig Gewinne erzielt hat, der Zugriff auf finanzielle Mittel gesichert ist, keine materielle Überschuldung droht und auch sonst nicht die Absicht zur Aufgabe der Unternehmenstätigkeit besteht, kann die Geschäftsführung ohne viel Zögern von einem Going Concern Szenario ausgehen. Vermögensgegenstände können dementsprechend weiterhin mit ihren fortgeführten Anschaffungs- und Herstellungskosten gemäß handelsrechtlichen Vorschriften angesetzt werden.
Ist die Finanz- und Ertragslage des Unternehmens allerdings beeinträchtigt, so dass möglicherweise schon im nächsten Geschäftsjahr eine Unternehmensfortführung aus finanzieller, betrieblicher oder rechtlicher Sicht gefährdet sein könnte, sind aufwendigere Überlegungen anzustellen. In einem solchen Fall müssen positive Gegebenheiten gegen negative wie finanzielle Probleme oder Einbrüche auf den Absatzmärkten aufgewogen werden. Folgende Entwicklungen können beispielsweise dazu führen, dass die Fortsetzung des Geschäftsbetriebs gefährdet wird:

  • Aufkündigung großer Kredite, die für die Unternehmensfinanzierung unverzichtbar sind
  • Unfähigkeit, eine benötigte Anschlussfinanzierung zu erhalten
  • Hohe Ausgleichsforderungen aufgrund von Schäden, die das Unternehmen verursacht hat und die nicht versichert sind
  • Personalmangel, den das Unternehmen nicht durch Neueinstellungen beseitigen kann

Wenn die Unternehmensfortführung nicht angenommen werden kann

Sollte die Geschäftsführung zu dem Schluss kommen, dass die Unternehmensfortführung im nächsten Geschäftsjahr nicht garantiert ist, hat das Konsequenzen für die Bilanzierung. Die allgemeinen Bewertungsgrundsätze des HGB können dann nicht mehr ohne weiteres angewendet werden. Vielmehr müssen Bilanzansätze in Betracht gezogen werden, die bei der Unternehmensauflösung zum tragen kommen, zumindest für die Teile des Unternehmens, für die es kein Sanierungskonzept gibt. Als Konsequenz steht dann nicht mehr die periodengerechte Erfolgsermittlung, sondern die zuverlässige Ermittlung des Reinvermögens im Vordergrund der Bilanzierung.
Das hat wiederum weitere Folgen, so könnte beispielsweise der Grundsatz der materiellen Bilanzkontinuität (Stetigkeitsgrundsatz) nicht mehr eingehalten werden und der Ansatz des Vermögens zu Einzelveräußerungen müsste geprüft werden. Letztendlich kommt es meist zu einer umfänglichen Erfolgsverminderung, die das Reinvermögen auf einen Betrag kürzt, der dem Risiko angemessen ist.

Aufgaben für den Abschlussprüfer

Die Annahme eines Going Concern Szenarios ist eine Grundlage für den Jahresabschluss. Der Abschlussprüfer muss daher im Rahmen seiner Abschlussprüfung die Einschätzung der gesetzlichen Unternehmensvertreter zur Unternehmensfortführung beurteilen. Bereits bei der Planung seiner Prüfung achtet er daher auf Anhaltspunkte für das Vorliegen bestandsgefährdender Tatsachen. Außerdem beurteilt er folgende Bestandteile der Einschätzung der gesetzlichen Vertreter:

  • Angewendete Prognoseverfahren
  • Beabsichtigte Maßnahmen zur Abwendung einer Problemlage wie beispielsweise die Reduzierung des Personalstandes oder den Verkauf von Vermögenswerten

Konsequenzen für das Testat

Auch wenn Hinweise auf Bestandsgefährdung vorliegen und bezüglich der positiven Fortführungsprognose von Seiten der gesetzlichen Vertreter Unsicherheit besteht, kann der Abschlussprüfer einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk (Testat) erteilen. Eine Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die bestandsgefährdeten Aspekte und Unsicherheiten im Lagebericht zum Jahresabschluss angemessen dargestellt wurden. Ist die Darstellung im Lagebericht unzureichend, muss das Testat eingeschränkt werden.

Wurde der Jahresabschluss auf Grundlage von Going Concern erstellt und der Prüfer kommt zu der Einschätzung, dass eine Unternehmensfortführung nicht möglich ist, muss er einen sogenannten Versagungsvermerk erstellen. In der Praxis wird in einem solchen Fall häufig die Prüfung unterbrochen, um dem Unternehmen Zeit für Maßnahmen zur Abwendung der Bestandsgefährdung zu gewähren.

Sicherheit eines uneingeschränkten Bestätigungsvermerks

Erteilt ein Prüfer den uneingeschränkten Bestätigungsvermerk, so erklärt er damit lediglich, dass die positive Einschätzung der gesetzlichen Vertreter zur Unternehmensfortführung angemessen ist. Dieses Urteil vermittelt allerdings keine absolute Sicherheit. Die Fortführung kann trotz der Einschätzung des Abschlussprüfers durch zukünftige Ereignisse oder Entwicklungen gefährdet werden.

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